30. August 2021

Die vertikale Genossenschaftssiedlung

Die beiden Hochhäuser an der Kasparstrasse sind auch aus genossenschaftlicher Sicht interessant, sagt Jürg Sollberger, Präsident von Wohnbaugenossenschaften Schweiz Bern-Solothurn.

Was zeichnet das Hochhaus Bethlehemacker II als Genossenschaftswohnhaus aus?

Die Erschliessung der aktuell 160 Wohnungen mit einem Erschliessungskern ist speziell und für eine Genossenschaft aussergewöhnlich. Im Vergleich zu Wohnungen, die mit mehreren, nebeneinanderliegenden Treppenhäusern erschlossen sind, begegnet man sich hier zwangsläufig öfter, zumal die Briefkastenanlage im Erdgeschoss und die Waschsalons auf den Geschossen noch einmal weitere Begegnungsräume schaffen. Ich würde deshalb behaupten, dass hier der Zusammenhalt grösser ist als in anderen Siedlungen und man einfacher Menschen kennenlernt.

Hat der Wohnungsmix Einfluss auf das Zusammenleben in einer Siedlung?

Eindeutig. Die Kasparstrasse hat eine raffinierte Erschliessungsstruktur und einen spannenden Wohnungsmix. Im Tscharnergut baute man damals vorwiegend 3-Zimmer-Wohnungen, weshalb dort heute Kinder fehlen. An der Kasparstrasse gibt es von der Studiowohnung bis zur Wohnung, in der eine fünfköpfige Familie Platz hat, alles. Dies entspricht einer modernen Genossenschaftsauffassung, die ein breites Angebot will, um das Zusammenleben verschiedener Generationen, Kulturen und Schichten zu fördern.

Hat diese Überbauung in der Schweiz einen besonderen Stellenwert?

Bern-West ist in Bezug auf den gmeinnützigen Wohnungsbau sehr spannend: In kurzer Zeit entwickelte es sich von der Genossenschafts-Gartenstadtsiedlung Bethlehemacker I über die dreigeschossigen Schrägdach-Blöcken in der Meienegg zu den Hochhäusern im Tscharnergut der 50er-Jahre und schliesslich dem Bethlehemacker II in den 70er-Jahren. Innert dreissig Jahren veränderten sich die Vorstellungen auch im genossenschaftlichen Zusammenwohnen völlig. Dies schuf eine Vielfalt, aus der man heute auswählen kann.